I. Teil "Weshalb ich mich nicht mehr ärgere..." oder "Die Trickster-Spiele & der Schatten"

 

Weshalb ich mich nicht mehr ärgere, liebe Leserin, lieber Leser!

 

Vor ein paar Wochen hat jemand mein Auto massiv beschädigt, ohne einen Zettel an meiner Windschutzscheibe zu hinterlassen. Fahrerflucht! Es ist mir zum ersten Mal passiert und nicht bei meinem alten, sondern am neuen Auto! Es muss ein lautes Krachen gewesen sein, ein großer Schaden, keine Bagatelle oder Delle. Zu meinem Erstaunen war ich ruhig und dachte: Aha, ein Trickster. Für mich war es das Spannendste, dass ich mich Null geärgert habe und bei allem, was dann an Zeit und Aufwand kam, war ich mit dieser Erfahrung einverstanden und entspannt.

Weshalb war ich so ruhig? Konnte ich nicht mehr wütend oder zornig sein? Oh doch, das kann ich sehr gut, doch es überschwemmt mich nicht mehr so wie früher, so dass ich nicht mehr klar denken konnte. Es hat sich verändert. Ich spüre den Zorn und er gibt mir Energie und Kraft, doch es überwältigt mich nicht mehr. Es ist erstaunlich, dass ich innerlich ruhig und gelassen bleibe, egal was ist. Im Großen und im Kleinen. Meine Beschäftigung mit den Archetypen der Menschheitsgeschichte ist sicher ein Aspekt, der mich beruhigt und die Welt mit dem evolutionären Blick betrachten lässt.

 

Was ist ein Trickster-Archetyp?

 

In den letzten Monaten hatte mich das unübersehbare Auftauchen der Trickster in den Medien beschäftigt: sei es in der Politik, in der Automobil-Industrie, den Banken etc. Seit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen Ende 2016 mache ich eine Umfrage unter Freunden, Bekannten und Klienten, ob sie den Trickster-Archtypus kennen. Oh nein. Unbekannt. Zu meinem Erstaunen sind die Archetypen der Menschheit, wie sie in Märchen und Mythen und zum Beispiel von C.G.Jung beschrieben wurden, nicht im Bewusstsein. Dabei sind sie so hilfreich, kollektive und individuelle Lernprozesse zu reflektieren. Das ist nicht nur bei den Alltagsereignissen so, sondern bei allen Weltereignissen und Medienberichten, die sehr emotionalisiert und aufgebauscht sind: wenn wir in unserem Kern verankert bleiben, können wir die Ereignisse nüchtern und ruhig reflektieren.

 

Exkurs zu den Tricks der Trickster oder wie ich die Archetypen der Menschheitsgeschichte entdeckte und erforschte: 1989 lernte ich den Trickster im Rahmen meiner Tanztherapie-Ausbildung kennen. Im Tanz gelingt es einfacher, diese Muster tiefer zu erkunden, indem wir sie über den Körper ausdrücken und „verkörpern“. Das bedeutet, daß jeder Mensch in seinem Unterbewusstsein um diese archetypischen Muster weiß. Sie können dem sog. kollektiven Unbewusstsein zugeordnet werden. Unser Körper ist mit dem Nervensystem und mit jeder Zelle mit dem Unterbewusstsein verbunden. Das Tanzen der Archetypen lässt uns diese "verkörpert" wahrnehmen, es wird uns immer bewusster, was unbewusst läuft. „Das Verkörpert sein“ bedeutet, neue Erfahrungen im Körper zu integrieren. Kopf und Körper sind verbunden, d.h. wir denken nicht mehr darüber nach, wie etwas funktioniert, es ist installiert: vergleichbar mit dem Erlernen von Schwimmen, Fahrrad- oder Autofahren. Am Anfang braucht es Übung und nach ein paar Monaten ist die neue Fähigkeit im Körper abgespeichert. Wir können uns beim Autofahren entspannen, Musik hören und sind trotzdem im Körper präsent. Unser Körper reagiert bei Gefahr blitzschnell - schneller als der Kopf denken kann. Die Körperweisheit reagiert, schaltet und bremst wie von selbst - wenn wir nicht traumatisiert sind. Bei unaufgelösten Traumata im Körper ist diese Verbindung leider unterbrochen, kann aber wieder hergestellt werden: der Körper hilft uns dabei.

 

Nun wieder zurück zum Thema Tricks der Trickster-Archetypen: Jeder Mensch hat viele archetyische Prägungen. Einer davon ist der Trickster. Wir können ihn gut bei kleinen Kindern zwischen zwei und drei Jahren beobachten. Sie fangen in dieser Zeit an, in der Polarität zu spielen und zu "trickstern", indem sie Grenzen herausfordern. Entscheidend ist dann, wie die Umgebung reagiert und dies selbst vorlebt.

Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, wird uns bewusst, dass es viele Alltagssituationen gibt, in denen wir ganz selbst-verständlich schwindeln, verdrehen oder uns kleiner oder größer machen. Der Trickster als Gegenpol von Integrität und Aufrichtigkeit ist immer da. Es ist ein inneres Pendeln und eine ständige Regulation zwischen unseren Anteilen. Das läuft alles unbewusst ab. Es ist möglich, dass unregulierte Trickster-Anteile immer größer und größer werden und sehr viel Raum einnehmen, d.h. nicht mehr reguliert werden. Unsere Welt spiegelt uns diese Aspekte. So gibt es Lügner, Betrüger, Feiglinge ohne jegliches Rückgrat, ohne Verantwortungsgefühl - unfähig das Fehl-Verhalten ehrlich einzugestehen - in jedem Bereich unserer Gesellschaft. Die Integration des Schattens ist ein wesentlicher Teil der Bewusstseinserforschung. "Schattenarbeit" ist für alle Menschen unbequem, schmerzhaft und wird "auf Teufel komm raus" vermieden. Ja, der Schatten wird nach Außen projiziert auf die anderen. Wenn wir uns endlich stellen, werden wir mit viel mehr Energie und Lebenskraft versorgt, denn die Schatten unten zu halten, kostet uns Energie und Lebendigkeit. Meist werden Menschen durch Krankheit und einschneidende Ereignisse gezwungen, sich ihren unbewussten Anteilen zu stellen.

 

Humor und Aha ein Trickster!

 

Wenn wir uns die Schattenanteile bewusst machen, können wir sie wie von einem Berg aus beobachten und unsere eigenen Trickster-Spiele mit Humor betrachten und korrigieren. Dadurch entsteht Raum, Abstand und wir verdrängen den Trickster nicht ins Unterbewusstsein. Wenn die Massen emotionalisiert sind und der Verstand weg ist, dann wird es brenzlig. Die Trickster-Spiele in unserer hoch emotionalisierten Zeit der „Verdummung und Verflachung“ finden auf (fast) allen Kanälen statt.

Als Gegenmittel brauchen wir Geschichten und Urbilder, damit unsere Gehirne und Körper wieder ruhig werden und wir unseren reflektierenden Verstand weit werden lassen können. Um zu neuen Lösungen zu kommen, braucht es neues Denken, unbekanntes Denken, wildes Denken. Unser altes Denken produziert die alten Muster, in denen wir uns wohl und heimelig fühlen.

Die Angst vor dem Neuen ist das größte Problem in der Menschheitsgeschichte. Wenn wir vor Angst erstarren, sind wir unfähig klar zu denken, zu handeln und unsere bequemen Sessel zu verlassen. Die Angst wird verdrängt, abgespalten und kommt verdreht wieder heraus. Manchmal als Trickster. Die Archetypen wirken seit Jahrtausenden im kollektiven Unterbewusstsein und in jedem Menschen. In allen Märchen und Mythen geht es um diese inneren Kräfte, die sich bei vielen Klienten auch jetzt noch in Träumen etc. zeigen. Jeder Mensch hat Anteile dieser Archetypen in sich. Die Beschäftigung mit diesen unbewussten Kräften ermöglicht uns, die Weltgeschichte mit einem weiten und offenen Blick, frei von Bewertung, zu beobachten.

Der Trickster-Archetyp tritt in Zeiten auf, in denen eine Wandlung notwendig ist. Er hilft mit, dass wir alle wach werden und genauer hinschauen. Was wir in der Welt sehen, hält uns den Spiegel vor. Alles, was wir abspalten, wegdrängen und nach Außen projizieren, taucht wieder auf. Ja, es ist unangenehm, es ist womöglich schmerzhaft, doch das ist wichtig, den Schmerz zu spüren, wenn nötig zu trauern, damit sich etwas wandeln kann. Das Therapeutenpaar Margarete und Alexander Mitscherlich hat Ende der 70 er Jahre den Kern des Problems angesprochen, weshalb sich Traumata wiederholen. Ihr Buch heißt "Die Unfähigkeit zu trauern" und es ist heute genau so aktuell wie damals. Wir sind noch nicht "durch". Es hilft uns nix. Verdrängen bringt nichts.

Die Symptome verschieben sich und brechen an anderer Stelle verstärkt wieder hervor. Schau in die Nachrichten: immerwährende Trauma-Wiederholungen. Es ist wesentlich, die Gefühle wie Schmerz und Trauer zuzulassen und weicher zu werden, zum inneren heilen Kern zu kommen. Es gibt einige Therapeuten, die meinen, es ist möglich dem Schmerz zu entkommen. Das ist nicht wahr. Der Schmerz ist der Transformator, den wir zulassen müssen. Wenn wir den Schmerz willkommen heißen, dann löst er sich innerhalb von 10 bis 20 Minuten auf und wandelt uns zu menschlichen Wesen, voller Mitgefühl zu anderen Wesen.

 

C. G. Jung stellt uns schon 1954 einen Entwicklungsweg in Aussicht: Der Trickster wird den Wandel einleiten.

 

„Die Kennzeichen der tiefsten Unbewußtheit wenigstens fallen von ihm ab: statt brutal, grausam, dumm und sinnlos zu handeln, fängt der Trickster gegen den Schluß des Zyklus an, Nützliches und Sinnreiches zu tun. Damit verrät sich schon innerhalb des Mythos die Entwertung der früheren Unbewußtheit. Man fragt sich allerdings, was nunmehr mit den übeln Eigenschaften des Tricksters geschieht. Der naive Betrachter nimmt wohl an, daß, wenn die dunkeln Aspekte verschwinden, sie auch wirklich nicht mehr da sind. Das ist aber erfahrungsgemäß nicht der Fall. Was wirklich geschieht, ist, daß das Bewußtsein sich von der Faszination des Übels befreien kann und nicht mehr genötigt ist, es zwanghaft mitzuleben, aber das Dunkle und Böse ist nicht in Rauch aufgegangen, sondern hat sich infolge Energieverlust ins Unbewußte zurückgezogen, wo es unbewußt verweilt, solange im Bewußtsein alles wohlsteht. Wenn aber das Bewußtsein durch kritische und zweifelhafte Situationen erschüttert ist, dann zeigt es sich, daß der Schatten keineswegs in Nichts aufgelöst ist, sondern nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um wenigstens als Projektion auf den Nachbarn zu erscheinen. Gelingt ihm dieser Streich, dann entsteht zwischen dem einen und dem anderen wieder jene primitive Dunkelwelt, in welcher all das – auch auf höchster Zivilisationsstufe – geschehen kann, wofür die Figur des Tricksters charakteristisch ist. Die Vulgärsprache nennt dies treffend und wörtlich genommen ein »Affentheater«, auf dessen Szene alles schiefgeht oder verdummt wird, was die leiseste Möglichkeit dazu bietet, und nur ausnahmsweise oder im letzten Moment etwas Intelligentes passiert. Die Politik liefert hierfür wohl die besten Beispiele.“ (C. G. Jung: Archetypen, S. 170. 16. Auflage. DTV Verlag. 2010 ISBN 978-3-423-35175-1)

 

Das hat der Begründer der analytischen Psychologie C. G. Jung schon 1954 geschrieben, also vor mehr als 60 Jahren. Heute, im Jahre 2019, ist es aktueller denn je. Er sagt damit:

Erst wenn wir uns unser persönliches Unbewusstes,
unseren Schatten, der immer mitlebt,
bewusst machen und aufhören
mit den eigenen, kleinen Tricks,
erst dann wird das kollektive Unbewusste
in Form des Trickster Archetyps
nicht mehr mit Energie versorgt.

Das bedeutet konkret, dass jeder Einzelne wichtig ist
und jeder die Verantworung übernehmen soll,
denn sonst wird der Schatten mobilisiert und auf andere projiziert.
Unser verdrängtes Schattenthema wird personifiziert und weiterhin
wird der Staat und die Gesellschaft für seine Unzulänglichkeit
verantwortlich machen. Anstatt uns selbst in die Gesellschaft
einzubringen und zu engagieren, schimpfen wir auf "die anderen".

 

Ich freue mich sehr, wenn Sie sich die Zeit nehmen

und den II. Teil über die Tricks der Trickster und das Aufmerksamkeitsdefizit lesen.

Viel Inspiration wünscht,

Angelina Petra Kreupl

 

Aktuelle Ergänzung vom 21.01.18: Inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass Schwindeln und Trickstern von Kindern ein wichtiger Teil der Entwicklung ist. Es ist ein gutes Zeichen, wenn Kinder den Eltern etwas verheimlichen können, denn der Trickster ist einfach ein wichtiger Aspekt und er ist nicht "böse", sondern ein Transformator. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Menschen jeden Tag mehrmals tricksen, bis zu hundert mal!